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Tinte trifft Aquarellfarben

Menorca. Cala Santandria, Nähe Ciutadella. Außer den beiden Frühschwimmern ist die Bucht um 7 Uhr morgens noch leer, die Bars geschlossen, im Zwielicht ist die Entenfamilie im flachen Wasser zu erkennen, der Kormoran sitzt auf seinem Stein. Die 600 m bis zur Steinbarriere am offenen Meer sind heute windig, aufgewühltes Wasser, Gicht, Gegendruck; dafür wird der Rückweg einfacher, die Strömung schiebt etwas mit. Der Himmel gewinnt langsam Farben von hellblau über violett und rot bis gelb, das Wasser hellt sich von dunklen Tönen auf zu blauen und grünen Flächen mit weißen Reflexen. Die Sonne steht noch hinter den Häusern und nur langsam werden aus dem Grau-in-grau Pastelltöne und dann satte Farben. An der Steinbarriere wende ich und schwimme zurück zum Strand, der Strandmann richtet bereits die Liegen und klopf Halterungen für die Sonnenschirme in den Sand, der Barmann kommt und räumt die Tische auf die Terrasse, eine Frau fegt die Hotelterrasse, die Strandreinigung kommt vorbei, einzelne Jogger und dann bricht mit Wucht die Sonne hinter den Häusern hervor und ich siehe vor lauter Licht nichts mehr. Die Reflexe des Wassers spiegeln das Sonnenlicht vielfach wieder. Nach einer halben Stunde ist dieses allmorgendliche Schauspiel vorüber, meine Strecke geschwommen und der Tag kann kommen.

Es war das frische Grün. Ein meteorologisches Ereignis Menorcas, wo nach den Dürren des Sommers Ende September erfrischende Regengüsse über die Insel ziehen und wenige Tage darauf leuchtend frisches Grün überall hervortritt. Dazu der rote Sand, blauer Himmel und das Meer.

Das Pinienwäldchen in der Nähe des Hauses, gestern noch staubtrocken und braun, über Nacht wie im Frühling in frischem Grün. Sicher habe ich meistens ein Skizzenbuch und Füller dabei, allerdings keine Farben und diese Beobachtung verlangte nach Farbe. In Ciutadella erstand ich einen kleinen Aquarellkasten und einen ordentlichen Pinsel und konnte nun anfangen.

Meine Wahrnehmung war noch an Formen, Volumen, vor allem an Figürlichem orientiert und so dauerte es ein paar Tage, bis die charakteristischen Elemente dieser Landschaft, die gewohnten Linien, Strichen, Schraffuren und die neuen Farben zusammenkamen und dann konnte es losgehen. Gut, dass ich noch ein zweites, leeres Skizzenbuch, eingesteckt hatte, denn mir wurde das Papier knapp.

Rund um die Cala Santandria

Cala Santandria, ein alter Fischerstadtteil, den mittlerweile der Tourismus verschlungen hat. In den wenigen Bachtälern fand ich noch etwas Landwirtschaft, hier und da Pferde, Esel, Ziegen, Hühner, Schafe oder Schweine. Kartoffeln, Gemüse, Bohnen, Tomaten, Paprika, dazwischen Zitronenbäume. Die alten teilweise in den Fels eingebauten Häuser verschwinden allmählich, mussten vor Jahren der üppigen Grundstücksspekulation weichen und werden nun Stück für Stück durch moderne Touristenquartiere in Form von Reihenhäusern oder kleinen Villen ersetzt. Meistens abgelegen und versteckt, etwas Landwirtschaft und Pferde. Fischerei, die einmal das Hauptgeschäft des Stadtteils gewesen ist, findet hier nicht mehr statt.

Die kleine Bucht wird dennoch von Einheimischen geschätzt. Man kennt sich, am Wochenende trifft sich die ganze Familie am Strand. Ein kleines Hochhaushotel prägt den Blick in die geschützte Bucht.

Eindrücke entlang des Camí de Cavalls - GR 223

Menorca ist windig, rauh, zerklüftet. Ein großer Teil der Küstenlinie ist unzugänglich, Steilküste, wild. Auf mehreren Wanderungen war ich von Cala Galdana im Süden im Uhrzeigersinn bis Cala Tirant im Norden jede Bucht und jeden Weg abgelaufen. Die Südwestküste mit weißen Sandbuchten, die Westseite mit den unzugänglichen Steilküsten, der rauhe Nordwesten und die abwechslungsreiche Nordküste mit weißen, roten, gelben Sandbuchten und Stränden, mit Felsformationen und sandigen Wegen durch Pinienhaine.

Vor allem die Nordküste erlebte ich Ende September, wenn wenige Touristen unterwegs sind, als atemberaubend schön und anstrengend. Selbst in Zeiten der Hochsaison vielbesuchte Strände waren nun fast menschenleer. Im Norden wehte ein stetig wehender, frischer Wind aus Nord oder Nordost. Erst hinter der ersten Hügelkette lässt dieser Wind nach und die Wege führen durch Pinien- und Steineichenwäldchen. Die letzten Kilometer zur Küste muss man zu Fuß zurücklegen, denn es gibt praktisch keine Stelle, die mit dem Pkw über steinige Fahrwege erreichbar ist. Dies garantiert den Küstenregionen ihre Einzigartigkeit.

„Das Wahre gibt es nicht! Es gibt nur verschiedene Arten des Sehens.“

Gustave Flaubert

Skizzenbuch 19 (21x13 cm, hoch, Moleskin, 2008), Skizzenbuch 20 (21x14 cm, hoch, 2017), Skizzenbuch 21 (21x14 cm, hoch, 3.10.2017), Skizzenbuch 22 (21x13 cm, hoch, 2018), Skizzenbuch 23 (20x14,5 cm, hoch, 100 g/m² Offset-Papier, 11.8.2019)

Nun entwickeln sich einmal gefundene Darstellungsweisen oder besser: meine „Kürzel“ für Bäume, Häuser, Wege, Reben, Wolken, Berge usw. nur langsam weiter. Es gibt da einen Moment, ab dem die gefundene Form variabel überall eingesetzt werden kann, ähnlich einem Alphabet und in Summe dann daraus ein Bild wird.

Die stille Dynamik liegt in Details, wenn sich im Farbauftrag Strukturen bilden, Anmutung einer Räumlichkeit, Verläufe, Schraffuren mit unterschiedlichen Farben überlagern und malerische Eigenständigkeiten entwickeln. Über die Zeit entwickeln sich Kombinationen, die aus wenigen Pinselstrichen Wolkengebilde, Äcker, Wald u. v. a. m. erkennen lassen. Durch solche Andeutungen lebt eine Zeichnung und wird dennoch vom Betrachter gegenständlich zugeordnet: Bäume, Felder, usw. Auf der Grundlage der allgemeingültigen Wahrnehmungsgesetze entstehen aus Kenntnissen und Erfahrungen aus wenigen Strichen und Farbflächen Bäume, Felder, Vögel, Meer, Wolken usw.